von Ida Pingal und Heinrich

----------------------------------------

 

Frau Dr. h.c. Ida Pingal, Verfasserin des genialen, in 20 Fremdsprachen übersetzten Buches zum Thema Quantenphysik und Mystik ging es ähnlich wie Wittgenstein. Nach Abschluss ihres ersten Werkes zog sie sich aus ihrem Fachgebiet, der Physik, zurück, da sie der nicht unbescheidenen Ansicht war, alles sei nun zu dem Thema gesagt worden.
Fortan beschäftigte sie sich als Privatgelehrte mit verschiedenen Themen aus dem Bereich Physik und Philosophie,  betrieb eine Weile Gartenbau, insbesondere Samengärtnerei, wobei sie sich an diversen urban gardening Projekten beteiligte und Proteste gegen Monsanto unterstützte. Danach verschwand sie für einige Jahre im Westerwald und lehrte dort in einem Ashram das sogenannte »Jnana-Quantenyoga« (eine Pingalsche Wortzusammenstellung aus Jnanayoga, auch Yoga des Wissens genannt und Quantenphysik).
Zwei Themen aber hatten sie in der Zeit der relativen Abgeschiedenheit nicht losgelassen, das Thema  »Teleportation«, das der Laie als sog. »beamen« aus »Raumschiff Enterprise« kennt und das Thema der Bilokation, das sie anhand von Berichten über den von Johannes Paul II heiliggesprochenen Padre Pio studierte, welcher zeitweilig an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig auftauchte (naturgemäß um Wunder zu vollbringen).
Ab und zu kamen ihr im Westerwald Nachrichten von einem gewissen »Herbert« zu Ohren, der auf diesen Gebieten eigene Erfahrungen gemacht haben sollte und dabei eventuell nicht nur an einen anderen Ort sondern auch in einer andere Zeit gelandet sein könnte. Frau Dr. Pingal war geradezu hypnotisiert von der Vorstellung, ein Gespräch mit diesem vermutlich Teleportierten könne sie erheblich weiterbringen und ihr Perspektiven eröffnen, deren Ausarbeitung ihrem bedeutenden Erstlingswerk ein mindestens gleichwertiges Zweitwerk zur Seite stellen würde.
Sie recherchierte daher den Aufenthaltsort  des Mannes und erhielt eine Adresse in der Region Uelzen, unter der der mutmaßlich Teleportierte aber nicht zu erreichen war. Schließlich wurde sie im Internet fündig, wo ihr in einem wissenschaftlichem Blog ein gewisser »Waldemar« ein Treffen mit Herbert vermittelte.
Sie wartete auf Herbert im wunderbaren Ambiente des Hundertwasserbahnhofs in Uelzen, im gemütlichen Café »Lässig«, das zu ihrem Entzücken sogar für Veganerinnen einiges Leckere bereithielt. »Und dazu auch noch bio« freute sie sich.
 
Herbert wirkte locker und selbstbewusst, als er auf Frau Dr. Pingal zukam. Er war ein ca. 1,70 m großer Mann in  Bluejeans und Pullover, wozu er kurioserweise Sandalen und Socken trug.  Frau Dr. Pingal stellte sich kurz vor und reichte Herbert die Speisekarte, was ihn scheinbar etwas nervös machte. Frau Dr. Pingal ließ Herbert wissen, dass er eingeladen sei,  er solle es sich »gutgehen lassen« bei dieser tollen Speisekarte.
Die Einladung entspannte Herbert offensichtlich, seine Begeisterung für die Speisekarte hielt sich allerdings in Grenzen. Als der Kellner ihm mitteilte, dass er auch eine Currywurst mit Pommes bekommen könne, war er versöhnt, obwohl »bio« aus seiner Sicht dabei nun völlig überflüssig war. Zur Wurst bestellte er sich eine Cola, natürlich nicht light, »mann, diese Kellner können echt nerven«.

“Herr Kupfermann”, begann Ida Pingal das Gespräch, “ich habe immer wieder Dinge über sie gehört, die so ungeheuerlich klingen, dass man annehmen sollte, die Zeitungen wären voll mit Schilderungen Ihrer wahrhaft verblüffenden ungewöhnlichen Abenteuer. Ich denke, diese Ereignisse sind doch nicht nur für sie selbst von so ungeheuerer Tragweite sondern für die gesamte zivilisierte Menschheit. Tatsächlich aber habe ich noch in keiner Zeitung einen umfangreicheren Text zu dem Thema gefunden. Hin und wieder findet sich in der Tagespresse eine kleine Notiz. Aber meist werden Ihre Erlebnisse gar nicht recht zur Sprache gebracht, vielmehr werden dieselben schnell abgetan mit Bemerkungen, die dem Leser Ihre Persönlichkeit suspekt machen sollen.
Unter anderem war in der »Allgmeinen Zeitung Uelzen« zu lesen, sie seien ein witziger Grantler, der nicht in der Lage sei, der Realität ins Auge zu sehen und sich in Traumgspinsten verliere. Wenige andere Artikel in Lokalzeitungen hatten den Tenor »spinnerter Esoteriker«, aber allesamt hatten wenig, bzw. gar keine Tatsachen als Grundlage zu bieten.
Im Internet findet sich so gut wie gar nichts zu dem Thema außer Ihren eigenen Schilderungen. Andererseits aber scheinen sie doch in Fachkreisen kein unbeschriebenes Blatt zu sein. So habe ich bereits im Sommer 2012 auf der dOCUMENTA 13 ein hochinteressantes Gespräch mit Herrn Marian Krauthuber geführt, der Student des Herrn Anton Zeiliger an der Uni Wien ist. Mit diesem Herrn K. sprach ich, nachdem dieser mir seine Quantenexperimente vorgeführt hatte über Zeilingers Experimente mit der Teleportation und in diesem Rahmen fiel dann auch Ihr Name. Da ich mich mit diesem Themenbereich der Physik beschäftige, bin ich sehr daran interessiert, Ihnen einige Fragen stellen zu dürfen.
Ich frage sie also, können sie mir sagen, wie sich diese Dinge aus Ihrer Sicht darstellen? Kennen sie den Herrn Anton Zeilinger persönlich? Hat er in Ihren Abenteuern eine tragende Rolle gespielt? Kann man vielleicht sogar sagen, dass die Anwendung der Teleportation keine Zukunftsmusik mehr ist?”

“Ja, danke Frau Pingal oder muss ich Frau Doktor sagen?” fragte Herbert nach. “Was für‘n Doktor sind sie? Ich habe seit meiner letzten versuchten Zeitreise immer so ein Ziehen…. ach lassen sie mal, das kriege ich selbst wieder in den Griff. Was haben sie gefragt? Ob ich ihnen ein Interview geben kann? Ja, selbstverständlich?
Wo wird das veröffentlicht? Komme ich dann auch ins Fernsehen? Oder in den Brockhaus? Na ja, egal, Hauptsache die Welt erfährt endlich, wer wirklich Schuld hat, dass ich Mygnia nie erreicht habe. ICH habe ALLES dafür gegeben, aber wenn die Bundesregierung, die Krankenkasse, die Rentenversicherung und sogar der Hausverwalter mir ständig nur Knüppel zwischen die Beine werfen, muss auch der willensstärkste Mann irgendwann aufgeben …..“

“Nun ja, ich bin stolz darauf, vor 3 Jahren die Ehrendoktorwürde der Amrita-Universität in Tamilnadu, also in Südindien, erhalten zu haben.” freut sich Ida. “Auf meiner Indienreise im Jahre 2011, habe ich einige Wochen im Sivananda Ashram in Rishikesch verbracht, um dann nach Südindien weiterzureisen. Es war mein Herzenswunsch dort einmal von Amma, genannt “die Mutter”, umarmt zu werden. Kennen sie Amma, haben sie schon von ihr gehört, Herr Kupfermann?”

“Mutter?  Nö, die war noch nicht hier” entgegnete Herbert.

“Also, Amma wird in Indien als “große Seele” Mahatma verehrt” erklärte Frau Dr. “Sie ist eine Yogini, also spirituelle Lehrerin oder Guru  und bekannt als  “Umarmerin”;  den ganzen Tag umarmt sie Menschen. Sie soll bereits  33 Millionen Menschen umarmt haben. Stellen sie sich das nur vor! Außerdem ist sie Rektorin  der Amrita-Universität. Ich sage Ihnen, Herr Kupfermann, die Umarmung der Mutter ist kosmisch, anders kann ich es nicht ausdrücken. Man muß es erleben. Ich habe an der Amrita-Uni gemeinsam mit Amma eine Veranstaltung organisiert, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen beschäftigte und Lösungsansätze für das Problem der zunehmenden Gewalt gegen Frauen in Indien erarbeiten sollte.  Aufgrund meines Einsatzes für einige diesbezügliche Projekte wurde mir auf Betreiben von Amma die Ehrendoktorwürde verliehen.
Aber bitte, Herr Kupfermann, Ehre hin, Ehre her, Titel sind Schall und Rauch, nennen sie mich Ida, Frau Pingal, Frau Dr. oder was immer sie wollen. Darauf kommt es doch nicht an. Interessant ist vielmehr das von Ihnen erwähnte Zucken oder war es ein Ziehen infolge einer, sagten sie Zeitreise? Das ist hoch interessant! Wo zieht es denn genau ? Und seit wann? Und übrigens: ob sie ins Fernsehen, in den Brockhaus, nach Müknia-  hieß das so?-  oder in die Krankenkasse kommen, hängt entscheidend davon ab, was sie mir zu erzählen haben. Knüppel hin, Knüppel her, welche Erfahrungen haben sie mit Zeitreisen oder ähnlichen gemacht, Herr Kupfermann? Konzentrieren sie sich bitte!”

Herbert schaut Ida Pingal nachdenklich an. Ihr freundliches und wissendes Lächeln  ermuntert ihn, alles freimütig zu erzählen. Aber ihr Blick, unterstützt von ihrer klaren Stimme und Ausdrucksweise signalisiert ihm, dass er dieser Frau nichts vormachen kann. Das würde er ja sowieso niemals tun, aber meistens hat er es ja mit Leuten zu tun, die nicht im Entferntesten an sein umfangreiches Wissen und seine Intelligenz heranreichen. Da kann er viele Dinge schon mal sehr »vereinfacht« darstellen.
Aber Ida Pingal könnte nahe an sein Niveau heranreichen, vermutet er. Da er sich von ihr  Connections und Vorteile für seine Medienkarriere erhofft, sollte er es sich nicht mit ihr verscherzen.
»Ich kann Ihnen genau sagen, warum die Teleportation nach Mygnia nicht funktioniert hat«, beeilt er sich, seinen Bericht zu beginnen. »Das Portal war kaputt! Wenn ich meinen Freund Waldemar erreicht hätte, hätte DER das in Nullkommanix repariert. Waldemar hilft mir immer bei den ganz besonders schwierigen technischen Problemen. Der kann alles! Der arbeitet in der Forschung an der Uni – hatte ich das schon erzählt?
Sie müssen wissen, ich kann zwar alles bauen, Funkgeräte, Verstärker, elektronische Schaltungen aller Art, aber ich brauche immer ein Originalgerät, dass ich 1:1 nachbaue. Böse Zungen nennen das »abkupfern«, wie die Japaner das früher gemacht haben.«
Er lacht herzhaft und betont nachdrücklich, dass sein Nachname rein zufällig »Kupfermann« lautet. Das hätte absolut nichts mit seinen Konstruktionsmethoden zu tun!
»Wie gesagt kann ich alles bauen«, fährt er fort. »Sie können mir hier einen Computertomografen hinstellen – den baue ich ihnen in einer Woche nach! Die meisten Einzelteile habe ich durch das Ausschlachten von alten Fernsehern, Radios, PCs, Netzteilen und anderen Geräten, die mir Bekannte und Freunde zur Entsorgung bringen. Die paar Teile, die dann noch fehlen, bestelle ich im Internet. Ganz preiswert sind die chinesischen Händler. Da kostet alles nur ein Drittel bis maximal die Hälfte. Aber leider dauert es oft 3 – 4 Wochen, und manchmal hält der Zoll …..”

“Was für eine schöne Fähigkeit haben sie da,” Herr Kupfermann “Es ist so selten geworden, dass Menschen noch etwas selbst herstellen können. Alles wird gekauft. Was soll das einmal werden, wenn uns die Rohstoffe ausgehen? Dann stehen wir alle dumm da.”
Ida versank in Gedanken an peak-oil und peak-everything. “Wie dumm sind doch die Menschen, sich darauf zu verlassen, dass immer alles so weitergeht.” Darüber konnte sich Ida richtig aufregen.
Als der Kellner an den Tisch kam, merkte sie, dass sie abgeschweift war. Sie bestellte noch eine Cola für Kupfermann und für sich selbst eine BIO-Zisch Limonade Rhabarber. Dann wendete sie sich erneut an Herbert und sagte: “Ich fürchte wir sind etwas abgeschweift, kommen wir doch wieder zur Sache. Wie war das nun mit dem Zucken und Ziehen infolge einer  Zeitreise? Erzählen sie bitte.”

“Frau Pingal, sie haben völlig Recht! Aber meine persönlichen Befindlichkeiten und die Schäden, die ich durch meinen selbstlosen Einsatz davongetragen habe, würde ich gerne noch etwas zurück stellen. Ich denke, so ein Teleportationsportal ist dermaßen komplex, dass wir den Menschen schon detailliert alle Hintergründe aufzeigen sollten. Die Laien denken sowieso »klick« und ich werde »gebeamt«. Aber selbst Fachleute sind mit den neuen Technologien noch nicht lange vertraut. Selbst die Mitarbeiter  im CERN hatten ja so einige Probleme, und dass die Öffentlichkeit bisher nicht mehr erfahren hat, liegt daran, dass IMMER alles vertuscht wird, wenn irgendwo etwas schief läuft. Denken sie nur an die Skandale bei NSA, CIA, BND, CDU und Schlecker.«

“Wer vertuscht was? Das verstehe ich nicht?” unterbrach Ida aufgeregt, “wollen sie etwa andeuten, dass ggf. etwas schief gelaufen ist beim Beamen? Meinen sie damit vielleicht, dass Lebewesen teleportiert werden sollten und nicht alle Atome komplett am Ziel der Portation angekommen sind?”

Herbert fährt fort: »Sie wissen schon, was ich meine! Frau Pingal, sie als gebildete Frau wissen wohl sehr viel und sind deshalb nicht auf Wikipedia angewiesen! Aber der Durchschnittsbürger liest dort oft nach, wenn er die Welt nicht versteht. Ich habe das kontrolliert, was dort unter dem Begriff »Teleportation« geschrieben wird.
Da wird von Islam geredet, Sufismus, Thaumaturgie und dann sogar noch so ein arabischer Kram. Schon daran sehen sie, wie das Volk aufgehetzt werden soll! Irgendwann schaffen die das, dass die Teleportation ebenso verschrien ist wie mein Quadrokopter mit Filmkamera. Der wird von der Presse und dem Volksmund Drohne genannt und schon ist es ein Teufelswerkzeug!
Dabei betrachte ich unsere schöne Welt nur von oben, da das Fliegen mir selbst verwehrt ist. Nicht weil ich zu schwer bin, sondern einfach, weil ich keine Flügel habe. Ist ja auch egal. Darum greife ich gleich zur Teleportation, weil die wesentlich effektiver als Fliegen ist!”

Herbert nahm tatsächlich wahr, dass Ida Pingal eine Augenbraue leicht hochzog  und tief einatmete. Er beeilte sich, nun endlich die Frage nach dem “Ziehen” zu beantworten. Immerhin hatte er das nicht völlig vergessen.
“Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das nicht so genau, woher dieses komische “Ziehen” in meinen Muskeln, Gelenken und im Kopf kommt. Jedenfalls habe ich das erst seit der missglückten Zeitreise. Ich weiß jetzt schon, dass sich weder die Berufsgenossenschaft noch die Krankenkasse dafür interessiert. Die ignorieren meine sämtlichen Beschwerden schon seit Jahrzehnten!
Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin war meine Hauptsorge, wie ich da schnellstens weg komme. Ich kann Ihnen sagen, gehen sie niemals freiwillig in ein Krankenhaus. Da laufen nur unfähige Leute rum, die in erster Linie die Pharmakonzerne zufriedenstellen wollen, danach die Krankenkassen, dann die Verwaltung und ganz am Ende vielleicht die Patienten, wenn für die überhaupt noch etwas Aufmerksamkeit übrig bleibt. Aber vermutlich sind die Beerdigungsunternehmer noch dazwischen geschoben, die nicht benachteiligt werden sollen.
Ich habe noch nie einen Hehl daraus gemacht, was ich von Ärzten halte! Mein Hausarzt will mir ständig die Cola, den Kuchen und die Schokolade vermiesen, statt sich darum zu kümmern, dass meine Zehen  am rechten Fuß ganz schwarz werden. Entschuldigung, Frau Doktor Pingal, ich will sie als Akademikerin mit diesen Leuten nicht in einen Topf werfen. Sie sind ja ein Ehrendoktor und nicht so ein dahergelaufener Krankenhaus- oder Hausarzt.
Ich bin froh, dass ich nun Rentner bin und nicht mehr darauf angewiesen, um einen gelben Schein betteln zu müssen, wenn es mir richtig schlecht geht. Darum bin ich schon vor dem Arztbericht aus dem Krankenhaus abgehauen! Zum Neurologen wollten die mich noch schicken! Verstehen sie? Was für eine Frechheit! Als ob ich eine Klatsche hätte! Wenn ich nur darüber nachdenke, gehen Puls, Blutdruck und Galle hoch!”
Herbert kramte in seiner kleinen Handgelenktasche, öffnete eine Pillendose und schluckte 2 Tabletten mit Cola runter. Eine Weile schnaufte er nur – offensichtlich wütend.

“Das tut mir wirklich leid, Herr Kupfermann, dass Ihnen Unrecht geschehen ist. Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen. Eine meiner besten Freundinnen ist Juristin und beschäftigt sich mit Arzthaftungsrecht. Sicher wird sie eine Idee haben, wie Ihren Schädigern beizukommen ist.
Aber zuvor wäre es gut, wenn ich einen Überblick über die Entstehung Ihrer Probleme bekommen könnte. Und nehmen sie es bitte nicht so schwer, dass man sie zum Neurologen schicken wollte. Seien sie vielmehr gewiss, dass dies eine Auszeichnung sein kann.
Unsere Gesellschaft will jeden “therapieren”, der sich nicht mit einem Leben abfinden will, dass sich darin erschöpft, morgens brav ins Büro oder in die Fabrik zu laufen und sich zu freuen, dass man erst einmal acht Stunden beschäftigt ist,  nicht selbst denken muss und sich abends was Hübsches kaufen kann. Die Kreativität wird dem Menschen dabei gründlich ausgetrieben. Daher neidet er dieselbe allen, die diese Fähigkeit, die ja eigentlich das Menschsein ausmacht, noch besitzen. Und darum möchte er den Kreativen Menschen “therapieren”. Allen halbwegs kreativen Menschen soll in unserer Gesellschaft ihre Kreativität wegtherapiert werden, sodass wir dann nurmehr eine Gesellschaft von phantasielosen Arbeitern und Käufern sind.
Für Ihre Gesundheit wäre es das beste, Herr Kupfermann, wenn sie lernen, sich besser zu entspannen. Ich zeige Ihnen gern, sofern sie dies wünschen, ein paar sehr gute Yogaübungen, die Ihnen helfen können.
Aber jetzt muss ich doch auf Ihre von Ihnen sogenannte Zeitreise zurückkommen. Das ist ja noch mal was ganz anderes als die reine Teleportation. Bisher sagt ja die Fachwelt, dass beides technisch nicht möglich sein soll. Bevor ich auf die technischen Einzelzeiten zu sprechen kommen, möchte ich doch sie erst einmal bitten, mir genaueres von Ihren Erlebnissen zu erzählen. Dann kann ich mir ein besseres Bild davon machen.”

»Liebe Frau Pingal«, empörte sich Herbert, »was heißt hier bitte 'sogenannte Zeitreise', und dass das etwas ganz anderes als eine Teleportation wäre.
Das weiß ja wohl jedes Kind, dass Teleportationen mit und ohne Zeitsprung möglich sind, als auch Zeitreisen mit oder ohne Ortsveränderung. Schon bei der leichtesten Krümmung des Universums würde sogar eine einfache Teleportation auf entfernte Planeten schon von Haus aus einen Zeitsprung verursachen. Es sei denn, man reist in eine Gegend, in der es gar keine Zeit gibt, oder in eine Zeit, in der es die besagte Gegend noch gar nicht oder nicht mehr gibt!
Nur weil ich gerade eine missglückte Teleportation in die Parallelwelt Mygnia  hinter mir habe, die mich an die Orte meiner Kindheit auf diesem Planeten geführt hat, sollten gerade sie nicht so abfällig davon sprechen, wie es die Boulevardpresse tut. Da hätte ich Ihnen aber etwas mehr Realitätssinn und Einfühlungsvermögen zugetraut.
Da können sie mir noch so viel Schmerzensgeld versprechen. Ich bin nicht käuflich, und werde als einer der wenigen echten Zeitzeugen nicht dabei helfen, alles zu vertuschen, wie das immer so üblich ist.«
Herbert sprang auf und deutete einen spontanen Abgang an, schielte aber auf den noch nicht geleerten Teller seiner »Kanzlerplatte«, setzte sich wieder und mampfte wortlos aber  grummelnd weiter.

“Oh, das tut mir jetzt wirklich von Herzen leid”, erwiderte Ida, obwohl sie Herberts Reaktion für übertrieben hielt. Seine Ausführungen zum Schmerzensgeld beschloss sie zu ignorieren, da sie offensichtlich seiner Aufregung geschuldet waren.”
Ich wollte sie wirklich nicht verletzen,” versuchte sie ihn zu beruhigen. “Ich meinte es keineswegs abfällig. Aber sie waren zunächst auch so wenig konkret, dass ich gar nicht so genau verstehen konnte, was Ihnen nun tatsächlich geschehen ist.

Ich denke jedoch, jetzt habe ich sie verstanden,” fuhr sie etwas ungeduldig fort. “Wenn nicht, korrigieren sie mich bitte. Also, sie sollten qua Teleportation nach Mygnia reisen, die eine unserer Parallelwelten ist? Woher kennt man denn dieses Mygnia überhaupt? Und sie sagen, die Teleportation sei missglückt und sie seien in ihrer eigenen Vergangenheit gelandet? Und die Art und Weise dieser Reise war die, dass sie durch eine sogenannte Einstein-Rosen- Brücke, ein Wurmloch, unsere Raumzeit via Vergangenheit verließen?” Ida rutschte nervös auf ihrem Stuhl ganz nach vorn und neigte sich Herbert weiter zu: “Sind sie ganz sicher, dass sie auf genau diesem Wege die Vergangenheit erreicht haben? Und wie sind sie denn überhaupt wieder zurückgelangt? Wie lange waren sie in der Vergangenheit, wen haben sie getroffen? Von wo aus sind sie gestartet? Und wer hat sie auf die Reise geschickt? Sie sprachen vom CERN. Meinten sie das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, die  Großforschungseinrichtung bei Meyrin im Kanton Genf in der Schweiz? Sind sie dort gestartet? Oh, entschuldigen sie, so viele Fragen auf einmal. Darf ich sie bitten, alles einmal ganz genau zu schildern?”

»Ich erinnere mich sehr genau«, fuhr Herbert nach einer kleinen Pause fort. »Nachdem ich nicht in der Parallelwelt Mygnia gelandet war, sondern in dem Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin, stand ich doch tatsächlich vor dem Haus, in dem ich als Kind gelebt habe. Vor dem Haus, dass vor 50 Jahren schon abgerissen wurde. Unten im Haus war wieder / immer noch der Kiosk, wo ich in der Kindheit mein ganzes Taschengeld gelassen habe. Ich schaute auf eine Zeitung. Ich durchwühlte den ganzen Zeitungsständer, aber auf allen stand das selbe Datum: 3. Juli 1959. Aber ich selbst war so groß und so alt wie jetzt. Frau Pingal, sie werden es vielleicht nicht glauben, da sie mich als selbstbewussten und mutigen Mann kennen. Aber als ich da vor dem alten Backsteinbau stand, und mir vorgestellt habe, dass meine Mutter, mein Vater und meine ältere Schwester vielleicht dort in der Wohnung sind – UND ICH als kleiner Junge……"

Herbert wischte sich eine Träne aus dem Auge, und atmete tief ein.
»Ich habe es einfach nicht geschafft, die Treppe hochzugehen und nachzuschauen. Ganz plötzlich kam mir der Verdacht, dass ich das alles nur träume. Sie können sich diese enormen Zweifel sicher vorstellen! Also ging ich erst einmal die Straße hoch und erkannte jeden einzelnen Laden, die Kaffeerösterei,  das Fischgeschäft und den schmalen Durchgang, durch den es zum Hinterhof ging, in dem die Heißmangel war. Kennen sie den typischen Geruch einer Heißmangel? Er war tatsächlich da. Das habe ich mir doch nicht eingebildet! In diesem Hinterhof haben wir Kinder viele Stunden verbracht. Vor allem sind wir erst auf den alten Schuppen geklettert, von dort auf die Garage und dann weiter auf das Flachdach des Mehlbodens der Bäckerei. Es war immer eine Mutprobe, von dort auf das Nachbargrundstück zu springen. Das waren mindesten 4 – 5 Meter Höhe. Inzwischen war ich völlig davon überzeugt, dass das alles nur ein Traum sein konnte. Im Traum kann ich ja fliegen und sanft irgendwo hinuntersegeln. So kletterte ich auf dieses besagte Flachdach und wollte nun endlich einmal sanft landen! Sprung!……

Tja, im Krankenhaus bin ich dann aufgewacht, glücklicherweise in der heutigen Zeit. Gehirnerschütterung, eine Rippe gebrochen, Fuß verstaucht. Sie können das kontrollieren. Es gibt heute weder die Heißmangel, noch den Schuppen oder den Mehlboden. Dort steht nun ein großes, modernes Mietshaus.«

Und ob sie den Geruch der Heißmangel kannte! Ida roch ihn jetzt genauso gut wie Herbert ihn auf seiner Reise gerochen haben musste, den Geruch, den sie eben nur allzu gut aus ihrer eigenen Kindheit kannte, dem sie nun aber seit vielen Jahren nicht mehr begegnet war. Sie roch auch den Duft aus der Backstube und der Kaffeerösterei und tauchte während Herberts Schilderung gemeinsam mit diesem in die Kinderjahre ab. Mit der Schilderung von Gerüchen konnte man sie ohne weiteres sofort an andere Orte und in andere Zeiten beamen. Sie selbst und ihre Freunde nannten sie wegen ihrer besonders ausgeprägten olfaktorischen Fähigkeit manchmal scherzhaft die “Nase”.

Sie rechnete nach: 1959, da war sie 9 Jahre alt. Herbert musste also ungefähr ihr Jahrgang sein. Sie nahm einen tiefen Atemzug und machte eine rasche Kopfbewegung, als wollte sie die Erinnerungen abschütteln. “Dieser Herbert ist ein ganz ungewöhnlicher Typ”, dachte sie, “ganz und gar nicht 08/15, sensibel, versponnen und mit außerordentlichen technischen Fähigkeiten.” Im Moment war ihr das neues Buch nicht mehr ganz so wichtig. Sie begann sich tatsächlich für Herbert und seine Geschichte zu interssieren und fragte sich zudem, ob es eine Rolle spiele, ob man tatsächlich teleportiert oder sonst irgendwie in die Vergangenheit versetzt wurde, sich beispielsweise wegen des Geschmacks einer “Madeleine” auf die Suche nach der verlorenen Zeit begebe. “Nichts ist unglaubwürdiger als die Realität.” dachte sie. “Wieso verfängt sich jeder wirklich glaubwürdige Philosoph am Ende in Paradoxa? Warum schlagen dem skrupelhaften Atomphysiker die Quanten am Ende ein Schnippchen? Realität ist, was wir durch unsere Konditionierungen und Programmierungen wahrnehmen. Und solange wir nicht tiefer hinterfragen, kaufen wir uns eben dies als Realität ab und glauben uns all unsere Gedanken. Und wenn wir hinterfragen, bleiben wir einsam in der Quantensuppe sitzen. Das weiß ich doch alles, warum suche ich jetzt dennoch verbissen nach sogenannten Tatsachen einer Zeitreise?” Dieser Gedanke war es aber, der sie wieder zu den Fakten zurückbrachte.

“Lieber Herr Kupfermann”, wandte sich Ida jetzt an Herbert, ”ich werde gar nichts überprüfen, weil ich überzeugt davon bin, dass alles genauso stattgefunden hat, wie sie es mir erzählen. Es tut mir leid, dass sie sich bei dem Versuch, die Tatsache Ihrer eigenen Zeitreise zu überprüfen, so üble Verletzungen zuziehen mussten. Wir bewegen uns mit diesem Thema auf derart unsicherem Boden, dass wir manchmal selbst nicht mehr wissen, ob wir wachen oder träumen. Es war mutig von Ihnen, Ihren eigenen Körper als Mittel der Verifizierung einzusetzen. Man darf keiner Erfahrung trauen, die man nicht am eigenen Leibe gemacht hat, davon bin ich zutiefst überzeugt.
-
Was ich sie aber jetzt noch ergänzend einmal gern fragen würde, ist die Mitwirkung weiterer Beteiligter. Insbesondere wüsste ich gern, inwieweit das CERN eine Rolle gespielt hat. Können sie mir dazu etwas erzählen?”

»Ich glaube, es war Anfang 2012. Da ging ein LHC-Experiment am Large Hadron Collider des CERN in Genf gründlich schief. Dadurch wurde offenbar ein Durchgang in ein Paralleluniversum aufgerissen. Aber auch an anderen Orten gab es Portale. Meistens entstanden sie kurzzeitig, wenn jemand mithilfe der Meline  aus der Parallelwelt Mygnia zurückgekehrt war. Was ein Melin ist und was Mygniareisende zu berichten hatten, können sie detailliert bei Karl Olsberg nachlesen. Auch ihr Physikerkollege Heiner Krombach hat ein sehr ausführliches Essay erstellt.

Ich bin monatelang durch ganz Europa gerast, um solch ein Portal zu erwischen. Ich habe auch diese Erlebnisse schon schriftlich festgehalten und kann Ihnen gerne die Links geben, wo das veröffentlicht wurde.

Ich bin aber hin und hergerissen. Es hält mich zwar nichts auf diesem Planeten und ich wäre sofort in die Parallelwelt übergesiedelt, aber inzwischen befürchte ich, dass die Menschen bei einer Besiedelung sämtliche Missstände mitnehmen würden.
Waldemar hat mal zu mir gesagt: ‚Egal wohin Du flüchtest – Du nimmst Dich selbst mit!‘
Und nun stellen sie sich das mal bildlich vor, Frau Pingal! Es wäre schon ganz schön happig, wenn ich MICH mitnehmen müsste«, grinst Herbert, »und dann auch noch die ganzen Dummen, Dreisten und Verpeilten, wegen derer ich es auf diesem Planeten dermaßen zum Kotzen finde!«

“Oh, ja”, erwiderte Ida, “das Essay meines Kollegen Krombach ist wirklich beachtlich. Krombach ist ein brillanter unvoreingenommener Wissenschaftler, dem Erkenntnis mehr bedeutetet als Karriere. Wenn ich mich nicht täusche, ist er der erste, der über “Meline” geschrieben hat. Stammt nicht sogar der Ausdruck “Melin” von ihm?
Und sie, Herr Kupfermann, sind sie etwa ebenfalls mithilfe eines Melins in unsere Welt zurückgekommen? So wie sie es geschildert haben, sind sie ganz ohne ihr eigenes Zutun wieder hier gelandet. Können sie sich das erklären? Ich verstehe das alles nicht.
Genausowenig wie ich verstehe, weshalb sie der Ansicht sind, dass all die Menschen deretwegen sie unser Universum verlassen wollen, nun ebenfalls nach Mygnia kommen sollten. Und die Aussage Ihres Freundes Waldemar ist doch in Bezug auf die Telportation mehr als fraglich.  Denn nur die Information,  nicht die Atome kommen am anderen Ort an. Aber das sind wir bei der Frage “wer oder was bin ich”.
Aber erzählen sie lieber weiter, was sie  noch von Ihrer Zeitreise erinnern.”

"Frau Pingal, das sind wieder ein Haufen Fragen! Ich meine damit nicht, dass ich mir das nicht alles merken könnte und nacheinander beantworten. Aber wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, sie können besser fragen als zuhören.
Ich sagte doch schon, Meline gibt es nur auf Mygnia und ich war nicht auf Mygnia. Leider! Ich meine auch nicht, dass alle Erdbewohner nach Mygnia umsiedeln sollen. Ok, vielleicht würde es notwendig werden, wenn die Menschen die Erde endlich kaputtgespielt haben. Aber ohne Zwang werden nur wenige ihr Reihenhäuschen oder den Schrebergarten auf diesem Planeten verlassen wollen.
In der Regel sind aber die Auswanderungswilligen nicht immer die Crème de la Crème der Gesellschaft. Schauen sie sich doch mal die Deutschen im Ausland in an. Das ist ja wohl kein repräsentativer Querschnitt unserer Gesellschaft. Alles Abenteurer, die glauben, auf einem anderen Kontinent fliegen ihnen die gebratenen Kiwis in den Rachen.

Das sähe natürlich anders aus, wenn ein reicher Onkel aus Amerika mir etwas vererben  und mir endlich einen angemessenen Lebensstil ermöglichen würde. So ein Auswanderer könnte mir gefallen«, schiebt Herbert schmunzelnd ein. Aber dann sofort wieder mit grimmiger Miene: «Hatte ich das schon erwähnt, dass ich für 40 Jahre harte Arbeit nur einen Hungerlohn an Rente bekomme?!?
Mal eine andere Frage, man sagte mir, dass man für solche Interviews einen Haufen Geld bekommt! Wie viel wäre das denn so? Davon könnte auch abhängen, ob ich alle  Zeitreisetricks verrate, oder lieber doch gleich ein Buch schreibe?!"

“Daher weht der Wind also, Freundchen”, dachte Ida und mußte innerlich schmunzeln. “Du tischst mir hier ein paar vage Andeutungen und eine kleine Rührgeschichte auf, um dich wichtig zu machen und ein paar Euro rauszuschlagen? Für wie blöd hältst Du mich eigentlich?” Sie war nicht enttäuscht, da sie bereits seit Herberts Geschichte über die Reise in die Kindheit nicht mehr wirklich daran geglaubt hatte, dass er ihr tatsächlich etwas Neues erzählen könnte. Ein wenig beleidigt aber war sie, weil er sie offensichtlich für ziemlich naiv hielt. “Nun, erwiderte sie mit leicht arrogantem Tonfall, “was hat man ihnen denn erzählt, wieviel man für solch ein Interview bekommt? An welche Summe haben sie denn so gedacht? Aber vielleicht sollten sie sich aber auch gleich lieber an den “Stern” wenden. Die haben die Hitlertagebücher gekauft und sind sicher auch an ihrer Zeitreise interessiert.” Ida lachte. “Also, Herr Kupfermann, mal ganz ehrlich, sie haben mir doch bisher noch gar nichts erzählt, wofür wollen sie denn Geld haben? Was haben sie denn überhaupt zu verkaufen, na?”

"Werte Frau Pingal, sie können sich den überheblichen Tonfall für Leute aufheben, von denen sie nichts wollen. Habe ich sie um dieses Interview gebeten, oder wie ist das entstanden?

Wie sie sicher wissen, ist ja in ihren Kreisen üblich, gibt es neben dem Abschreiben von Doktorarbeiten und anderen Copyrightverletzungen auch richtige Industriespionage. Eine Firma, die nicht namentlich genannt werden möchte, hat mithilfe von Unterlagen aus dem CERN und anderen Forschungslaboratorien ein Portal nachgebaut.  Man findet nur noch keine freiwilligen Testpersonen. Ein Hund, den man testweise durch das Portal geschickt hat, ist spurlos verschwunden.
Es ist nicht zu kontrollieren, ob er auf Mygnia gelandet ist oder einfach ersatzlos atomisiert wurde.

Außerdem gibt es noch immer keine sichere Möglichkeit, von Mygnia wieder zur Erde zurückzukehren. Die wenigen Rückkehrer haben bisher auch nur von Zufällen berichtet, die sie wieder zur Erde transportiert haben.

ICH habe mich freiwillig zur Verfügung gestellt, mithilfe des nachgebauten Portals nach Mygnia zu reisen. Keiner der anderen Sesselpuper hatte den Mut, das zu probieren. Mir war es auch egal, ob es eine einfache Fahrt wird, oder eine mit Rückfahrkarte. Das soll mir erst einmal jemand nachmachen! Ich schlage ihnen vor, ich gebe ihnen die Adresse dieser Firma. Ich gehe davon aus, dass so ein unbescholtenes Mädchen wie sie die Adresse im Darknet nicht finden würde. Und dann reisen sie selbst! Dann haben sie alle Informationen aus erster Hand!

Wenn das Experiment bei ihnen ebenso wie bei mir schief läuft, und sie landen in ihrer Kindheit, können sie da ja vielleicht noch was reparieren oder in die richtigen Wege leiten«, schnaufte Herbert und schlug seine Zähne in das letzte Stück Currywurst. Fast so als  ob er Angst hätte, dass sie ihm nun den Teller wegziehen würde..

Ida wurde ganz mulmig, na klar, Teleportation ist ein spannendes Thema. Aber dass ausgerechnet sie sich bei lebendigem Leibe teleportieren lassen könnte, das war eine ganz andere Geschichte. Für solche Dinge war Kupfermann aus Ihrer Sicht eindeutig der bessere Kandidat. Dafür würde sie ihn auch gern bezahlen, wenn denn was dran war an der Sache. Die Sache wäre es Ida wert, ihr kleines ererbtes Vermögen einzusetzen. Aber sie war sich absolut nicht sicher, ob der Bursche ihr nicht doch einen “Bären aufbinden” wollte.

“Wollen sie behaupten, fragte sie Herbert, “dass die NSA, das FBI und das US- Militär  zu blöd sind, auf diesbezügliche Dinge im Netz zu stoßen, die sie und böse Mädchen finden können. Sicher kenen sie die Darknet -Suchmaschine “Memex” , nicht wahr? Sie wurde von der US-Behörde Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die für das Militär forscht, mit Hilfe der Leute vom “Tor-Netzwerk” entwickelt. Sie können sich gewiss vorstellen, dass das amerikanische Militär an Daten zur Teleportation mächtig interessiert ist und Freude daran hätte, Panzer, Kampfjets und Drohnen direkt dahin zu beamen, wo sich die Menschen noch immer hartnäckig dem american way of life, dem ungefesselten Neoliberalismus, verweigern. Ist doch umständlich, die Drohnen aus Ramstein fliegen zu lassen, wenn man sie direkt nach Pakistan und in den Jemen beamen kann. Wußten Sie eigentlich, dass in diesen beiden Ländern nach Schätzung der Nichtregierungsorganisation Bureau of Investigative Journalism seit dem Jahr 2004 etwa 1000 Zivilisten bei Drohnenangriffen getötet worden sind? Vielleicht müßte man die Menschen auch künftig gar nicht mehr so unfein abschiessen sondern könnte sie einfach wegbeamen, ganz unblutig. Dass das die Amis nicht interessiert, glauben sie doch selbst nicht oder? Und wollen sie mir dann erzählen, dass sie viel schlauer sind oder gar technisch versierter als die genannten? Das müßten sie mir schon einmal belegen, wieso das so sein sollte."

Sie brauchte etwas Zeit zum nachdenken und wollte zudem dafür sorgen, dass Kupfermann einigermaßen gut gelaunt war. Darum fragte sie ihn, was er von einer zweiten Currywurst halte, die andere sei ja sehr klein gewesen. “Oder lieber ein Stück Kuchen hinterher?”

»Ein Stück Schwarzwälder Kirsch wäre mir schon recht, und ein Schokoeisbecher.« Herberts Gesichtszüge glätteten sich wieder. »Ich wollte sie nicht unterbrechen, als sie ihren Vortag über FBI, Geheimdienste und die Kunstbanausen überm Teich vorgetragen haben. Ich sagte ja schon: ‚Eine Firma, die nicht genannt werden möchte‘. Deutlicher möchte ich nicht werden. Wissen wir, wer hier mithört?«

Herbert kramte umständlich in seinen Jackentaschen und holte ein kleines Notizbuch sowie einen Bleistift heraus. Der Bleistift war abgebrochen und deshalb holte er auch noch sein Schweizer Offiziersmesser aus der Hosentasche.  Er besaß leider nicht das Wenger Giant Knife 2007 mit 81 Einzelwerkzeugen für 141 unterschiedliche Funktionen, aber  mindestens die nächstkleinere Version, oder beinahe. Damit hatte er im Handumdrehen den kleinen Bleistiftstummel angespitzt und kritzelte hinter vorgehaltener Hand etwas auf eine herausgerissene Notizbuchseite. Dann schob er den Zettel Ida Pingal unter dem Tisch zu und zwinkerte dabei unauffällig mit dem rechten Auge.

 

Ida winkte dem Kellner und bestellte zwei Schokoladeneisbecher.

Dann fragte sie Herbert : “Lesen Sie eigentlich gern Unterhaltungsliteratur? Mein Neffe verschlingt bergeweise Literatur der Mischung “Computertechnik, Atomphysik, Thriller und Weltuntergang”. Lesen sie auch so was? Die Geschichte, die sie mir hier auftischen, erinnert mich ziemlich an dieses Genre. Alles nach dem gleichen Schema. Ich ärgere meinen Neffen gern damit, dass ich spotte, was er da lese, könne ich ihm auch mal schnell zusammenschreiben. Dann bekomme ich allerdings postwendend die Retourkutsche, dass ich dafür die Rechtschreibung beherrschen müsste.” Ida kicherte: “Damit hat er allerdings Recht. Beherrschen sie die Rechtschreibung, Herr Kupfermann? Ich habe mal gelesen, dass fehlerhafte Rechtschreibung ein Merkmal von Exzentrikern sei. Sie sind ja auch ein ziemlich unangepasster Kauz, aber es fehlt ihnen vermutlich an einem der wichtigsten Merkmale der Exzentriker, nämlich fünf bis sechs Steckenpferde zu betreiben. Wie ich sie kennengelernt habe, scheinen sie nur ein Hobby zu haben”, amüsierte sich Ida. “Sie basteln technische Geräte und Science-Fiction Geschichten, nicht wahr?” Irgendwie gefiel ihr dieser Kauz, wenngleich ihre Hoffnung inzwischen gegen null strebte, von ihm irgendetwas zu erfahren.

Ida und Herbert begannen genüsslich ihre Eisbecher zu bearbeiten, als ein Riesen-Knall die wenigen Gäste des Cafés verstummen ließ. Im selben Moment färbten sich die Fensterscheiben des Lokals schwarz. Dem Kellner wäre fast der Espresso vom Tablett gerutscht, den er Ida soeben servieren wollte. Ida stand auf, ging langsam zum Fenster und sah an einer Stelle, die der Ruß freigelassen hatte hinaus. Ihre Yamaha XT1200Z ABS eXTreme Ride Edition, die sie vor dem Café abgestellt hatte, stand in Flammen. Die ganze Hauswand war schwarz von Ruß. Offensichtlich war der Tank explodiert. Auf dem gegenüberliegenden Gehweg entfernten sich drei schwarzgekleidete Personen mit übergezogenen Kapuzen. “Schwachköpfe” murmelte sie und zog nachdenklich ein Smartphon aus der aufgenähten Beintasche ihrer Hose, wählte 110, legte dann aber wieder auf.

“War dieser Herbert nur ein “Absahner” oder wusste er wirklich etwas?” fragte sich Ida. “Kann ich den Kerl einbeziehen oder zieht er gleich los und plappert anderweitig herum, um etwas Geld zu machen?. Andererseits waren vielleicht die Kapuzenmänner nicht nur ihretwegen aufgetaucht. Das muss ich herausfinden.”

Sie ging zurück zu dem Tisch, an welchem Herbert sitzen geblieben war, zog den Zettel, den er ihr gegeben hatte aus der Tasche und fragte ihn: “Mietwagen oder Zug nach Frankfurt? Was meinen Sie Herr Kupfermann? Motorrad geht gerade nicht.”

Ida zog den Zettel aus der Tasche, den Herbert ihr gegeben hatte und fragte ihn: "Mietwagen oder Zug nach Frankfurt? Was meinen Sie Herr Kupfermann? Motorrad geht gerade nicht." Herbert wendete sich vom Fenster ab. Er war sehr blass geworden.

 

Ende Teil 1 – oder zumindest Ende des Interviews.
Reisen Ida und Herbert nach Frankfurt?
Was steckt hinter dem Anschlag?
Wie geht es weiter?
Geht es weiter?
Auf jeden Fall mehr Fragen als vorhandene Antworten! ;)